Early Literacy im Kindergarten fördern
Ein gutes Fundament schaffen
Jedes Jahr begleiten Sie Kinder beim Übergang vom Kindergarten zur Schule. Sie sorgen dafür, dass sich Kinder im Laufe der Kindergartenzeit ganzheitlich entwickeln können. Was sie in diesen ersten Jahren lernen, bildet das Fundament für ihr späteres Leben: Die neuen Erfahrungen bauen auf den alten auf.
Auch im Hinblick auf das schulische Lernen finden im Kindergartenalter viele wichtige Entwicklungsschritte statt, bei denen Sie, die Eltern und weitere Bezugspersonen, die Kinder unterstützen. Die im Vorschulalter entwickelten schriftbezogenen Kompetenzen, die als vorschulischer Schriftspracherwerb oder auch als Early Literacy bezeichnet werden, sind unabdingbar für das Lesen- und Schreibenlernen. Kinder, die in diesem Bereich bereits über Kenntnisse verfügen, haben es beim Eintritt in die Schule wesentlich leichter. Es geht bei der Early Literacy um das Sprechen und Zuhören, Konzepte der Schrift, eine erste Buchstabenkenntnis, die phonologische Bewusstheit, die visuelle Aufmerksamkeit und die Grafomotorik.
Konzepte der Schrift
Schon lange bevor Kinder Lesen und Schreiben lernen, entwickeln sie Konzepte der Schrift. Sie verstehen, dasss ich Buchstaben von anderen Zeichen unterscheiden. Unterschiedliche Schrifttypen zu kennen, Groß- und Kleinbuchstaben zu entdecken, zu verstehen, dass Schrift vorgelesen werden kann und das Geschriebene etwas bedeutet, sind ebenso Einsichten in die Schrift wie das Verständnis, dass es länger dauert, viel Text vorzulesen.
Sprechen und Zuhören
Die wichtigsten Kompetenzen der Early Literacy sind das Sprechen und Zuhören. Kinder kommunizieren mit anderen Kindern und Erwachsenen, sie drücken ihre Gedanken aus und verstehen, was andere zu ihnen sagen. Bei manchen Kindern findet diese Kommunikation außerhalb des Kindergartens in einer oder mehreren anderen Sprache(n) statt. Der Kindergarten stellt dann den Lernort zum sprachlichen Lernen auf Deutsch dar. Dieses sprachliche Lernen in der Zweitsprache baut auf den Kompetenzen in der Herkunftssprache auf. Die Herkunftssprache ist folglich auch wichtig für den Zweitspracherwerb. Für den Kompetenzausbau im Sprechen und Zuhören ist das Kindergartenalter von großer Bedeutung. Anregungsreiche Gesprächsanlässe und authentische sprachliche Interaktion leisten einen wesentlichen Beitrag.
Das Verstehen von längeren vorgelesenen Texten, wie zum Beispiel beim Vorlesen von Märchen, ist vor allem für die Kinder noch eine Herausforderung, die das Vorlesen aus der Familie nicht so gut kennen. Der Kindergarten hat gerade für diese Kinder die wichtige Funktion, eine Brücke zu bauen und im Sinne der Chancengleichheit auch diesen Kindern einen Zugang zur Schriftkultur zu ermöglichen. Auch für manche Kinder, die zu Hause eine andere Sprache sprechen als Deutsch, ist das Vorlesen manchmal fordernd, weil in manchen Texten sprachliche Ausdrücke und Konstruktionen vorkommen, die sie aus dem Alltag nicht kennen. Diese Ausdrücke und Konstruktionen sind jedoch wichtig zu erwerben, denn im schulischen Sprachgebrauch kommen sie häufig vor. Folglich stellen Angebote zum Zuhören, die durch kommunikative Unterstützungsangebote begleitet werden, große Lernchancen für Kinder dar, die Deutsch als Zweitsprache sprechen. Solche Unterstützungsangebote sind neben Gestik und Mimik auch Verweise auf Bilder oder das Aufgreifen und Erklären von wichtigen Begriffen. Aber beim Zuhören geht es nicht nur um Geschichten:
Auch Arbeitsanweisungen müssen von den Kindern verstanden und umgesetzt werden. Die vielen verschiedenen Aufgabenformate im ICH+DU bieten viele Möglichkeiten, dass die Kinder ihre Kompetenzen im Zuhören schulen.
Buchstabenkenntnis und Visuelle Aufmerksamkeit
In der Auseinandersetzung mit Schrift entwickeln Kinder eine erste Buchstabenkenntnis. Oft beginnt ein Interesse an Buchstaben mit dem Schreiben des eigenen Namens. Irgendwann entdecken Kinder das sogenannte Buchstabenkonzept: Sie verstehen, dass es einen Zusammenhang von geschriebenen Zeichen und gesprochener Sprache gibt. Kinder im Vorschulalter müssen nicht Buchstaben auswendig lernen, aber in der kindlichen Neugier für ihre Umgebung entwickelt sich das Interesse an Schrift wie von selbst.
Gerade beim Erkennen und Schreiben von Buchstaben spielt die visuelle Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle. Aber auch das genaue Hinschauen und das Verstehen von Bildern sind Teil der visuellen Aufmerksamkeit.
Grafomotorik
Im Kindergartenalter entwickeln die Kinder ihre Feinmotorik immer weiter, zum Beispiel beim Schneiden, Kleben oder auch beim Puzzlen oder Perlenauffädeln. Beim Malen und später beim Schreiben in der Schule ist die Grafomotorik wichtig, die wiederum auf der Feinmotorik aufbaut. Wie auch das Laufenlernen und andere motorische Fertigkeiten viel Übung und Zeit brauchen, können die Kinder nur durch viel praktisches Tun und im Umgang mit Stift und Papier ihre Kompetenzen in diesem Bereich ausbauen. In all diesen Bereichen unterstützen Sie Ihre Schützlinge durch Ihr (all-)tägliches Handeln im Kindergarten.
Bei der Arbeit mit ICH+DU können Sie die Kinder zudem gezielt beobachten: Was kann das Kind schon? Was fällt ihm noch schwer? Gerade bei Kindern im letzten Kindergartenjahr können Sie so wertvolle Beobachtungen sammeln, denn: Kann ein Kind die Aufgaben (mehr oder weniger) bearbeiten, hat es wichtige Kompetenzen für den Start in der Schule bereits ausgebaut. Sie können auch den Eltern zeigen, womit ihr Kind schon gut zurechtkommt und was dem Kind noch schwerfällt. Für die Eltern steht außerdem auf jeder Seite in der Kopfleiste, welche Kompetenzen mit den jeweiligen Aufgaben gefördert werden und welche Zusatzmaterialien es zum jeweiligen Beitrag gibt. So können Eltern ihre Kinder gezielt unterstützen und auch einen Eindruck gewinnen, was ihr Kind bereits bewältigt und wo noch weitere Angebote gemacht werden können.
Unsere Expertin:
Prof.in Dr.in Hanna Sauerborn ist Professorin für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule in Heidelberg. Ihr Forschungsschwerpunkt ist Early Literacy, Schriftspracherwerb – dabei steht sie unserem Team von ICH+DU beratend zur Seite. Davor war sie Lehrerin an einer Grundschule und an der Schule für Erziehungshilfe in Freiburg.